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« zurück zur ÜbersichtIn der Trauer nicht allein

VON ANDREAS STEPPAN
Einen geliebten Menschen zu verlieren, ist ein Einschnitt im Leben. Im Trauercafé in Bad Tölz haben Hinterbliebene die Möglichkeit, von ihren Gefühlen zu erzählen und auf Menschen zu treffen, die das Gleiche erlebt haben. Begleitet werden sie von Mechthild Felsch aus Münsing und Ursula Gabler aus Königsdorf
Bad Tölz-Wolfratshausen – Zu Allerheiligen wird es auf den Friedhöfen voll. Die Erinnerung an Verstorbene tritt in den Vordergrund, ein Besuch am Grab ist für viele Menschen ein Ritual. Für Mechthild Felsch ist Allerheiligen so ziemlich der einzige Tag im Jahr, an dem sie die Gräber ihres Sohnes Lukas und ihres Mannes Bernhard nicht besucht. Sie meidet den Rummel. Was aber nicht bedeutet, dass sie ihre Trauer lieber mit sich allein ausmacht, im Gegenteil: Die Münsingerin (66) ist Initiatorin des Trauercafés. Seit acht Jahren ist diese Selbsthilfegruppe Hinterbliebenen eine große Stütze, um mit dem Verlust eines geliebten Menschen umzugehen.
So unterschiedlich Menschen Allerheiligen begehen, so verschieden sind auch die Personen, die einmal im Monat ins Trauercafé im evangelischen Gemeindehaus in Bad Tölz kommen. Die meisten sind Witwen verschiedenen Alters, großteils aus dem südlichen Landkreis – der Norden tendiert zu einem entsprechenden Angebot der Trauerbegleitung in Waldram (siehe Kasten).
Zusammen mit Mechthild Felsch begleiten der evangelische Pfarrer Urs Espeel und die pensionierte Lehrerin Ursula Gabler die überkonfessionelle Gruppe. „Trauer ist etwas ganz Persönliches“, sagt Ursula Gabler. „Man kann und darf Trauer nie vergleichen.“ Im Trauercafé werde mal geweint, mal gelacht, sagt Felsch. „Manchmal sitzt jemand auch nur still da und sagt: ,Ich kann noch gar nicht darüber reden.‘“ Ratschläge und Tipps würden sich verbieten. „Ich werde oft gefragt: ,Lässt Du denn nie los?‘“, sagt Mechthild Felsch. Einen Satz wie „Jetzt wird’s mal Zeit“ werde man im Trauercafé nie hören, ergänzt Ursula Gabler.
Bei den Treffen gehe es ums Zuhören, um den Raum, um in vertrauensvoller Atmosphäre zu erzählen – wenn es sein muss, „immer und immer wieder“, sagt Gabler. „Wenn ich im Bekanntenkreis noch einmal das Bedürfnis habe, vom Tod meines Mannes zu berichten, bemerke ich oft die verstohlene Reaktion: ,nicht schon wieder!➔ Im Trauercafé, da darf man das.“ Hier sei „Platz für Tränen und Wut, für Verzweiflung, für meinen erschütterten Glauben, für alle Gefühle der Trauer“.
Anders als in einer Therapie hätten im Trauercafé Besucher wie Begleiter alle selbst erlebt, „in welch tiefes Loch man fällt, wie es einen beutelt“, sagt Ursula Gabler. Das mache die große Stärke und die Glaubwürdigkeit der Gruppe aus. Mechthild Felsch hat die Erfahrung gemacht: „Je mehr man erzählt, desto leichter wird es irgendwann.“
Vorbei ist ihre Trauer deswegen nicht – auch 21 Jahre, nachdem das jüngste ihrer vier Kinder an den Folgen eines Autounfalls starb. Lukas war damals nicht einmal sechs Jahre alt. „Ich kann die Bilder nicht vergessen“, sagt Mechthild Felsch. In der Trauer um ihr Kind sei sie „richtig abgerutscht“. Sie habe aber irgendwann auch gemerkt, dass es Menschen gab, mit denen sie über ihre Gefühle sprechen konnte. Sie ließ sich bei den „Verwaisten Eltern“ in München zur Trauerbegleiterin ausbilden, engagierte sich im Hospizverein, gründete in Wolfratshausen einen Kreis von Eltern, die ein Kind verloren hatten. Durch die Gespräche „habe ich verstanden, warum ich so aus der Welt gekippt bin“, sagt sie. Auch ihr Mann Bernhard brachte sich stark in die Gruppe ein.
Vor acht Jahren kam die Münsingerin zu dem Schluss, dass ein Angebot für alle Menschen nötig war, die einen geliebten Angehörigen verloren hatten. Mit dem Trauercafé in Tölz „haben wir ganz bewusst an einem Rosenmontag angefangen“, sagt sie – ein Tag, an dem viele Trauernde nicht wüssten, wohin mit sich.
Auch Ursula Gabler (74) erinnert sich an ihren ersten Besuch im Trauercafé. Vier Monate zuvor war ihr Mann völlig überraschend im Urlaub auf Menorca an einer Gehirnblutung gestorben. „Wir waren 44 Jahre verheiratet. Jetzt war meine Welt von einem Tag auf den anderen eine andere.“ Im Trauercafé auf offene Ohren zu stoßen, empfand die Königsdorferin als „sehr heilsam“. Hier konnte die Witwe auch berichten, wie sie plötzlich „alles alleine organisieren musste – all das, worum ich mich im Leben nicht habe kümmern müssen“.
Diese Erfahrung teilt seit Kurzem Mechthild Felsch mit ihr. „Ich stehe an der Tankstelle und weiß nicht, wie man den Luftdruck am Reifen misst“, nennt sie ein alltägliches Beispiel. „Das hat immer mein Mann gemacht.“ Bernhard Felsch, mit dem sie 47 Jahre verheiratet war, ist im Februar gestorben. An einem Herzinfarkt. Zwei Jahre zuvor war bei ihm Leukämie festgestellt worden. Seit der Diagnose hatte sich Mechthild Felsch aus der Trauerbegleitung zurückgezogen. „Ich war in dieser Zeit nicht offen dafür. Jetzt bin ich wieder dabei.“
Auch dank allem, was sie aus den Begegnungen im Trauercafé mitgenommen hat, „habe ich heute wesentlich mehr Willen, das durchzustehen und mich wieder am Leben zu beteiligen“.
Das Trauercafé
findet an jedem ersten Montag im Monat von 15 bis 17 Uhr im evangelischen Gemeindehaus in Bad Tölz statt. Teilnahme kostenlos, Anmeldung nicht erforderlich.
Trauergruppe in Waldram
Seit 2005 begleitet die Theologin und Musiklehrerin Sissy Mayrhofer aus Waldram innerhalb einer Trauergruppe Menschen, die einen Angehörigen oder einen engen Freund verloren haben. Dabei machen die Trauernden oft die Erfahrung, wie gut es tut, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen. Sissy Mayrhofer zur Seite steht Hospizbegleiter Bernhard Pletschacher.
Die konfessionsübergreifende Selbsthilfegruppe für Frauen und Männer in jedem Alter trifft sich regelmäßig an jedem letzten Dienstag im Monat von 18 bis 19.30 Uhr im katholischen Pfarrheim in Waldram. Telefonisch für Fragen zu erreichen sind Sissy Mayrhofer unter der Nummer 0 81 71/7 65 19 und Bernhard Pletschacher unter 0 81 71/2 62 51. peb